Eine andere Idee von Schule

Neubau Gymnasium Sarstedt. SARSTEDT.Kein achtstöckiger Glaspalast, kein futuristischer Hightech-Tempel. Sondern ein „Schulbau, in dem sich alle wohlfühlen können“, fasst Schulleiterin Christine Klein das Konzept für den Neubau des Gymnasiums Sarstedt zusammen. Über ein Jahr lang brüteten Lehrer, Schüler und Fachleute darüber, wie sich der pädagogische Fahrplan mit einem Raumkonzept am besten verbinden lässt. Am Dienstagabend kam die „Phase Null“ im Sarstedter Stadtsaal für die Öffentlichkeit auf den Tisch – jener Punkt, der die entscheidenden Weichen für den gesamten Planungsprozess stellt. Was deutlich wurde: Alle Beteiligten wollen beim Neubau innovative Wege beschreiten, die einer sich verändernden Schullandschaft Rechnung tragen. Und sie wollen Erfahrungen einfließen lassen – aus Skandinavien, aber auch aus Projekten wie dem „Lernhaus im Campus“ in Osterholz- Scharmbeck. „Es wird eines der modernsten Gymnasien, die ich kenne – und ich kenne viele“, sagte Schulentwicklungsberater Stefan Niemann, der das Projekt mit seiner Firma SICHT.weise betreut hat. Die wohl größte Hürde für alle: sich freizumachen vom konventionellen Bild einer Schule. „Es war nicht leicht, sich von Bestehendem zu lösen“, gibt Schulleiterin Klein zu. Denn die Nutzer, die pädagogischen Konzepte und die Aufgaben einer Schule haben sich gewandelt. Galt früher – überspitzt gesagt – starrer Frontalunterricht in kasernenähnlichen Klassenzimmern, erreichbar über einen langen Flur, passieren in Schulen heute andere Dinge: Die Schüler arbeiten selbstständig an Projekten, in Gruppen – teamorientiert, jahrgangsübergreifend und inklusiv. Zudem sind die Schüler ganztags da, müssen essen und sich erholen können. Und das war den Workshopteilnehmern deshalb wichtig – Quartier und Schule: Das Gymnasium ist in ein Wohngebiet eingebettet. Daher marschieren Anwohner öfter über das Schulgelände, um so schnell in die Stadtmitte zu gelangen. An sich ist das kein Problem. Dennoch muss der städtebauliche Kontext beim Neubau berücksichtigt werden, damit kein „Hundeklo“ und keine „Schnapsecken“ entstehen. Schließlich ist Schule ein geschützter und diskreter Ort. Es soll daher einen zentralen Haupteingang und möglichst wenig Ausgänge geben. Mit Glas im Inneren sollen Transparenz und klare Grenzen geschaffen werden. Potenzial gibt es bei der Mensa, die mehr als Stadtsaal und Kantine sein könnte – etwa ein Lernort. Außerdem soll sie an den Neubau angeschlossen werden – mit einer direkten Verbindung. Um das neue Ensemble wäre ein „Campus-Platz“ zum Sitzen und Chillen ideal, eine Art „Atrium trifft Amphitheater“. Zudem fehlt dem Gymnasium eine „eindeutige Adresse“.

Lehrerzimmer:
Das klassische Lehrerzimmer ist zum Auslaufmodell geworden. Stattdessen zieht die Idee des „mobilen Arbeitens“ ein. Das heißt, kein fester Platz mehr. Favorisiert wird das Arbeiten in sogenannten Coworking-Spaces: offene und geschlossene Bereiche, Multifunktions- und Einzelräume. Insgesamt entstehen große Räume mit Zonen zum Kommunizieren und Ruhen sowie Raum-in-Raum-Lösungen. Daneben: extra Platz für Material, Akten, Zeugnisse – und einen digitalen Lernort. Individualität gibt es durch eigene Schränke. Anregungen, wie das aussehen kann, präsentierte Architekt Tobias Kister mit Bildern von Bürolandschaften. Das Bremer Architekturbüro holte mit dem „Lernhaus im Campus“ Preise beim German Design Award 2016 und dem Deutschen Städtebaupreis 2016.

Klassenzimmer:
Bloß keine Flurschule, lautet der Wunsch, also lieber Lernräume vor „kalten Flächen“. Klassenzimmer wird es weiter geben. Jedoch öffnet sich die Lern- und Unterrichtsorganisation von Jahrgangsbereich zu Jahrgangsbereich. Soll heißen: Mit dem steigenden Alter der Kinder passt sich auch der Unterrichtsraum an, wird nach oben hin individueller, digitaler und aufs selbstständige Lernen ausgelegt. So hätten die Jahrgänge 5 bis 7 nach einer aktuellen Funktionsskizze vier Klassenräume mit jeweils 64 Quadratmetern, an jeden ist eine zwölf Quadratmeter große, schallgeschützte „Lernkoje“ angeschlossen. Im Eingangsbereich sind Schließfächer und Garderobe vorgesehen. Ein Marktplatz bildet den mittigen Treffpunkt. WC-Anlagen sind dezentral untergebracht; Ruheraum und Materiallager abseits. Bei den Jahrgängen 8 bis 10 verkleinern sich die Klassenräume zugunsten eines größeren Marktplatzes. Der elfte Jahrgang kriegt eine Extrazone, bevor sich dann die Oberstufe der Jahrgänge 12 und 13 in einem eigenen Bereich mit Kursräumen wiederfindet.

Zukunft:
Als nächster Schritt steht der Architekturwettbewerb an, berichtet Philipp Alder, Fachdienstleiter im Baudezernat des Landkreises Hildesheim. In einem Auslobungstext sollen zudem die Ergebnisse der Phase Null zusammengefasst werden. Schulleiterin Klein ist gespannt, „wie sich die gesammelten Ideen in den Grundrissen niederschlagen“.

Von Viktoria Hübner

Hildesheimer Allgemeine Zeitung am 31. Mai 2019

 

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